Mitgliederbrief von Sigmar Gabriel

Veröffentlicht am 02.11.2015 in Bundespolitik

Liebe Mitglieder,

das Treffen der Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD zu zentralen Fragen der Flüchtlingspolitik am vergangenen Sonntag hat kein Ergebnis gebracht. Ich möchte Euch deshalb darüber informieren, was wir für die Sozialdemokratie vorgelegt haben, welche Initiativen wir in der Bundesregierung auf nationaler und internationaler Ebene ergreifen, aber auch, was wir ablehnen und welche Beweggründe uns dabei leiten.

Wir stehen zu Humanität und Solidarität unter schwierigen Bedingungen

Wir wissen und erleben es alle – viele von Euch unmittelbar in kommunaler Verantwortung – dass Deutschland mit einer beispiellosen Flüchtlingswelle konfrontiert ist. Die Zahl derer, die bei uns Schutz, Sicherheit und Lebensperspektiven suchen, ist höher als jemals zuvor seit 1945. Sie geht bis an die Grenzen der Aufnahmefähigkeit unserer Städte und Gemeinden. Seit Anfang September hat unser Land mehr als 400.000 Menschen aufgenommen. Und noch immer zählen wir täglich mehr als 10.000 Flüchtlinge und Asylbewerber, die zu uns kommen. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen zur Solidarität mit denen, die aus Lebensgefahr fliehen. Solidarität ist für uns nicht nur ein Wort. Wir stehen in diesen schwierigen Wochen im Alltag dafür ein und setzen alles daran, auch die praktischen Voraussetzungen für eine menschenwürdige Aufnahme zu schaffen.

Wir wollen, dass diese Humanität und Solidarität Deutschlands Bestand haben kann. Gefährlich ist es, wenn der Staat die Kontrolle über die Lage zu verlieren droht. Obdachlosigkeit dürfen wir nirgendwo zulassen. Wo Unsicherheit, wo Befürchtungen und Beklemmung in der Bevölkerung wachsen, da erhalten Ausländerfeinde und Rechtsextremisten leichtes Spiel. Deshalb setzen wir uns für ein besser kontrolliertes und geordnetes Verfahren bei der Einreise und für eine Beschleunigung der Registrierung, der Asylantragstellung, des Asylverfahrens und der Rückführung bei abgelehnten Bewerbern ein.

Unser Vorschlag: Einreisezentren

Das Präsidium, die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sowie die Bundesministerinnen und Bundesminister der SPD haben gestern ein eigenes Konzept vorgelegt: Die Registrierung neu ankommender Flüchtlinge soll künftig ausschließlich in Einreisezentren erfolgen. Wir wollen ganz bewusst keine ganz neuen Strukturen neben die schon bestehen-den setzen. Das sorgt nur für noch mehr Durcheinander und noch mehr Zeitverlust. Sondern wir wollen die Beschlüsse von Bund und Ländern umsetzen, auf Einrichtungen aufsetzen, die in den letzten Monaten entstanden sind und diese stärken. Deshalb sagen wir: Einreisezentren können von Bund und Ländern in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Wartezentren betrieben werden, die schon beschlossene Sache sind. Hier müssen rasch mehr winterfeste Plätze bereitgestellt, hier muss Personal aufgestockt werden. Von besonderer Bedeutung bleiben auch die Vereinheitlichung der Registrierungsverfahren und der Datenaustausch zwischen den Behörden.

Wir sagen weiter: Einreisezentren soll es nicht nur an der deutschen Landesgrenze, sondern nach Bedarf im ganzen Bundesgebiet geben. Auch dabei gilt der praktische Sachverstand. Denn es melden sich in allen Bundesländern Flüchtlinge erstmals bei den Behörden und wir können sie nicht alle quer durch die Republik an die deutsch-österreichische Grenze zur Registrierung zurückschicken.

Asylsuchende warten dann in den Einreisezentren die Entscheidung über die Weiterverteilung ab. Damit unmissverständlich klar ist, dass sie dort bleiben, sagen wir, dass die Gewährung von Leistungen an die Registrierung in einem Einreisezentrum gebunden ist. Zugleich ist diese Registrierung die Voraussetzung für die Durchführung des Asylverfahrens. Verstöße können Leistungskürzungen und Verfahrensnachteile nach sich ziehen. Eine Inhaftnahme aber findet nicht statt.

Bei offensichtlich erfolglosen Anträgen, z.B. Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten, soll künftig die Entscheidung über den Antrag auch direkt im Einreisezentrum erfolgen und die Wiederausreise von dort aus stattfinden. Der Bund schafft in jedem definierten Einreisezentrum die dafür notwendigen Voraussetzungen. Das heißt insbesondere: Er schickt professionelle Entscheider des BAMF dorthin.

Die Bundesregierung soll zugleich durch fortlaufende intensive Kontakte zu sicheren Herkunftsstaaten und sicheren Drittstaaten sowie durch die Bereitstellung von Reisedokumenten und ggf. auch durch direkte Übernahme des Transports dafür Sorge tragen, dass eine rasche tatsächliche Ausreise im Falle abgelehnter Anträge erfolgen kann. Ziel ist es, die Zahl der Abschiebungen bei vollziehbarer Ausreisepflicht deutlich zu erhöhen.

Grenzkontrollen

Die Sozialdemokratie steht hinter der befristeten Einführung von Grenzkontrollen. Wir wollen, dass diese Kontrollen an der deutschen Landesgrenze gemäß den europäischen Bestimmungen über den 1. November hinaus fortgesetzt werden. Mehr noch: Die Grenzkontrollen sollten personell aufgestockt und intensiviert werden, um die Gewährleistung der öffentlichen Ordnung bei der Einreise sicher zu stellen. Solche Kontrollen sind aber keine zwingende Voraussetzung für die Einrichtung von Einreisezentren.

Symbolthema „Transitzonen“ – keine Lösung

Die Vorsitzenden der Unionsschwestern CDU und CSU, Angela Merkel und Horst Seehofer, haben sich in den vergangenen Wochen bis hin zur Drohung des Koalitionsbruchs zerstritten. Nachdem Seehofer soweit gegangen ist, der Bundeskanzlerin ein Ultimatum bis vergangenen Sonntag zu setzen, den Zustrom von Flüchtlingen zu stoppen, brauchte die Union ein Symbolthema zur Streitschlichtung. Dies sollen nun die so genannten „Transitzonen“ sein. Sie sind praktisch kaum zu realisieren, helfen auch nicht, den Zustrom einzudämmen, werfen aber schwere rechtsstaatliche Probleme auf.

Die Sozialdemokratie lehnt eine solche Symbolhandlung ab. Das Verfahren soll ähnlich wie beim Flughafenverfahren laufen. Es wäre stets mit Inhaftnahme verbunden, da eine Einreise nach Deutschland nicht stattfinden soll. Derartige Haftzonen müssten an der Landesgrenze zentral errichtet werden. Es würden faktisch bewachte und umzäunte Haftlager entstehen. Dies umso mehr, als im Unterschied zum Flughafenverfahren keine Rücknahmeverpflichtung der Herkunfts- und Transitstaaten besteht und auch abgelehnte Asylbewerber ggf. lange im Lager bleiben müssten. Schließlich ist die Bereitstellung einer großen Zahl neuer Unterbringungsplätze an der Grenze unrealistisch.

Merkel und Seehofer haben trotzdem auf solche Haftlager bestanden. Ich habe das zurück-gewiesen und unseren Vorschlag von Einreisezentren erläutert. Wir werden in der kommenden Woche innerhalb der Koalition im Bund und auch mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten erneut zusammen kommen, um die Beratung fortzusetzen. Die Einreisezentren bleiben dabei auf dem Tisch.

Die SPD ist bereit, in einer für Deutschland schwierigen Lage weiter zu sachgerechten Kompromissen mit der Union zu kommen. Dies erwarten die Menschen von uns, denn es gilt, die tatsächlichen Probleme zu lösen. Nur müssen es eben sachlich angemessene und praktikable Lösungen sein. Reine konservative Symbolpolitik lehnen wir ab.

Internationale Initiativen zur Lösung der Flüchtlingskrise

Eine internationale Partei wie die Sozialdemokratie weiß seit langem, dass große politische und soziale Verwerfungen mit nationalegoistischen Mitteln nicht zu bewältigen sind. Das gilt ganz besonders für die Flüchtlingskrise. Selbst wenn Deutschland seine Grenzen verschließen könnte, würde das humanitäre Problem nicht kleiner, sondern größer. Wir würden den Druck zurück zu unseren österreichischen Nachbarn und auf die überforderten kleineren Länder wie Slowenien lenken. Im heraufziehenden Winter käme es im Herzen der Europäischen Union zu einer menschlichen Katastrophe. Das ist unverantwortbar.

Wir müssen stattdessen die internationalen Initiativen verstärken, um die Fluchtursachen an ihrer Wurzel zu bekämpfen.

Am vergangenen Freitag gab es seit langer Zeit wieder einen Anlass zu vorsichtiger Hoffnung. Nach monatelangen diplomatischen Bemühungen gerade auch des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier ist es gelungen, alle entscheidenden Staaten in Wien an einen Tisch zu bringen. Die Wiener Erklärung der Außenminister aller UN-Sicherheitsratsmitglieder, USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien, sowie der bisher zerstrittenen Anrainerstaaten Syriens, Türkei, Saudi-Arabien und Iran, mit engagierter Beteiligung Deutschlands hält fest: Der syrische Staat soll in seiner territorialen Einheit mit intakten säkularen Institutionen erhalten bleiben. Auf UN-Initiative soll eine Kommission unter Beteiligung der syrischen Regierung und der Opposition den Weg zu einer Übergangsregierung, zu einer neuen Verfassung und zu freien Wahlen unter Einschluss der im Ausland lebenden Syrer ebnen. In zwei Wochen wollen sich die Außenminister im Wiener Format erneut treffen, um den Prozess fortzusetzen.

wir wollen helfen und ordnen – Hilfe für Flüchtlinge in Not, aber auch Ordnung bei ihrer Aufnahme. Und nicht zuletzt neue europäische und internationale Initiativen für eine Friedensordnung in den Kriegsgebieten, aus denen die Menschen kommen.

Euer
Sigmar Gabriel

 

 

Für Sie im Landtag: Markus Stein


 

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