Doris Ahnen: Merkel will mit Bildungsrepublik von Problemen ablenken
Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD) hält die Ankündigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Deutschland zu einer Bildungsrepublik zu machen, für unglaubwürdig. Sowohl der Zeitpunkt als auch die Unkonkretheit der Äußerungen machten sie skeptisch, sagte Ahnen im Interview mit dem „vorwärts“. „Vielleicht geht es auch darum, von manchen Problemen in den unionsgeführten Ländern und in der CDU abzulenken."
vorwärts: Doris Ahnen, sind Sie als Kind gern zur Schule gegangen?
Ja, und wo mir was nicht gepasst hat, habe ich versucht, als Schülervertreterin Dinge zu verändern.
Unter Führung Ihres Ministeriums baut Rheinland-Pfalz sein Schulsystem stark um. Sie sind Vorreiter bei der Einführung von Ganztagsschulen und schaffen die Hauptschule ab. Was lief vorher schief?
Wir haben uns 2001 als erstes westliches Flächenland für den massiven Ausbau von Ganztagsschulen entschieden. Das hatte natürlich viel mit der Analyse zu tun, dass unser Bildungssystem nach wie vor Chancen ungleich verteilt und wir der Meinung sind, dass die Ganztagsschule bessere Bildungsmöglichkeiten für alle Kinder eröffnet.
Inzwischen ist das Ganztagsschulprogramm zu einem Markenzeichen unserer Politik geworden. Am Ende dieser Legislaturperiode wird jede dritte Schule Ganztagsschule sein. Das heißt bei uns: entsprechend ausgebaut, mit entsprechend mehr Personal ausgestattet und mit einem verbindlichen Angebot an vier Tagen die Woche von 8 bis 16 Uhr.
Die Ganztagsschulen in Rheinland-Pfalz sind finanziell auch sehr gut ausgestattet. Wird das so bleiben oder erhalten nur Modellschulen so viel Spielraum?
Wir sind über den Modellcharakter längst hinaus, das Ganztagsschulangebot ist schon in die Regelförderung übernommen. Wir zahlen aus Landesmitteln das zusätzliche Personal, was im Einzelfall bis zu 50 Prozent zusätzlich bedeuten kann und geben den Schulen eine Ausstattungspauschale.
Wie finanzieren Sie das? Andere Länder haben da Probleme.
Das ist eine Frage, wo man Prioritäten setzt. Wir haben ganz eindeutig die Priorität bei der Bildung gesetzt und dort auf den Ganztagsschulausbau.
Bekannt ist, dass Schüler mit Defiziten besonders von Ganztagsschulen profitieren. Was ist mit den Schülern, die nicht aus sozial schwierigen Familien kommen, wo sich die Eltern kümmern, wo eigentlich alles in Ordnung ist?
Ich wehre mich mit Nachdruck dagegen, Ganztagsschulen seien nur etwas für Kinder, die zu Hause nicht so gut unterstützt werden können. Sicherlich profitieren die. Aber das tun die anderen Kinder auch. Denn Ganztagsschulen können deutlich besser individuell fördern, sie können Angebote integrieren, die sonst immer nur ein Teil der Kinder nutzen kann, etwa Sport und Musik. Bei der Ganztagsschule kommt die Musikschule, kommt der Sportverein in die Schule.
Dann brauchen leistungsstarke Schülerinnen und Schülern, zusätzliche Anforderungen. Auch das wird in der Ganztagsschule gemacht.
Last but not least glaube ich, dass gerade solche Angebote, die auch einen Beitrag zu sozialen Kompetenzen leisten, für alle gleichermaßen wichtig sind.
Laut einer Studie des Bundesbildungsministeriums ist besonders das Engagement und die Kreativität der Schulleiter für den Erfolg einer Ganztagsschule entscheidend. Woher bekommen Sie diese Superrektoren?
Wir haben den Ausbau der Ganztagsschulen von Anfang an mit einem großen Fortbildungsprogramm verbunden. Schule verändert sich und da brauchen Lehrer und Schulleitungen Unterstützung.
Bundeskanzlerin Merkel hat gerade als neue Losung „Bildung für alle“ ausgerufen. Was sagen Sie dazu?
Frau Merkel hat von der Bildungsrepublik gesprochen. Wer könnte etwas dagegen haben, wenn Bildung zum Megathema gemacht wird. Allerdings machen mich sowohl der Zeitpunkt der Äußerung als auch die Unkonkretheit skeptisch. Vielleicht geht es auch darum, von manchen Problemen in den unionsgeführten Ländern und in der CDU abzulenken. Etwa bei der Problematik der Hauptschulen hat die CDU keine Antwort, wie Schulstrukturen weiterentwickelt werden sollen.
In Rheinland-Pfalz wird es ab 2013 keine Hauptschule mehr geben. Die Gymnasien bleiben aber bestehen und damit das Aufteilen der Schüler. Hat da der Mut gefehlt?
Man muss bei Bildungsreformen auch auf Akzeptanz setzen. Wir setzen neben dem Gymnasium und der Integrierten Gesamtschule, die alle Bildungsgänge anbietet, auf die so genannte Realschule plus, die den Hauptschul- und den Realschulbildungsgang zusammenführt und bis zur Fachhochschulreife führen kann.
Hauptschüler haben kaum Chancen, sofort eine Lehrstelle zu finden. Besteht nicht die Gefahr, dass sich nur das Etikett ändert und künftig eben die Gesamtschüler mit den schlechtesten Noten keine Ausbildung bekommen?
Die Hauptschule hat auch ein Imageproblem in der Wirtschaft. Ich glaube, da kann man schon durch eine neue Struktur Zeichen setzen.
Man muss die Schüler gezielt fördern und unterstützen. Auch noch in der Ausbildung. Das ist auch eine gemeinsame Aufgabe von Schule und Wirtschaft.
Interview: Yvonne Holl
erstellt am 25.06.2008